Skulpturen-Installationen Tapeten Zeichnungen Ausstellungen Biografie Texte Aktuelles Links

Kunsthalle Arbon Juni 2007

Augenblicke im Paradies

Wer ins Paradies gelangt, erwirbt kein dauerhaftes Bleiberecht, soviel ist sicher. Weder in himmlischen Sphären, noch auf dem Boden politischer Tatsachen. Der Zutritt gilt gewöhnlich nur für eine begrenzte, eher kurze Zeit, bevor man in eine fremde Zukunft vertrieben oder dahin zurückgeschickt wird wo man herkam. Im Grunde läuft beides aufs Gleiche hinaus. Alles fängt von Vorne an. Bleibt die Hoffnung das nächste Mal sei dann für immer.

Haben Sie sich mal überlegt was Ihnen Ihr Paradies versprechen würde? Was müsste im Überfluss vorhanden sein? Nach welcher idealen Verfasstheit sehnen sich Ihr Körper und Ihr Geist?

Was Kassandra Becker angeht, so hat ihr Paradies die Dimension eines weitläufigen Gebäudes oder einer Villa. Der Aufenthalt würde ca. 12 Monate dauern, um dort zu leben und zu arbeiten und für die verschiedenen Räume eine umfangreiche Installation entwickeln zu dürfen. Vielleicht ist jemand zufällig im Besitz des passenden Schlüssels?!

Die Schlüssel zum Verständnis der aktuellen Ausstellung in der Kunsthalle Arbon liegen in der Antwort auf die Frage: Was kann figürliche Plastik im Spannungsfeld von Abstraktion und Darstellung heute sein? Und wie sieht das Selbstverständnis einer Bildhauerin aus, für die Harmonie und Ästhetik alles bedeutet? Darüber hinaus könnte man auch die Frage anschließen, wie sich heute ein Kunstverständnis, das künstlerische Gestaltung nicht mehr als formalen Akt, sondern als Eingriff in unsere Gesellschaft sieht, mit einer objektbezogenen Kunst der ästhetischen Kontemplation verträgt. Sind beide nur strikt getrennt voneinander zu betrachten, oder gibt es Zugangsweisen, die zwei Türen gleichzeitig öffnen? Man könnte es zum Beispiel mit folgender Frage probieren: in welchem Verhältnis steht das, was wir uns erträumen zu dem was wir tun, wenn wir nicht träumen?

Eine grüne Schönheit schläft, über dem Boden schwebend, horizontal mit den Füssen an der Wand als läge sie auf einem unsichtbaren Luftkissen. In nächster Nähe nehmen zwei Schwesterfiguren eine ähnlich überirdische Haltung ein. Man nennt das im Fachjargon Back-Bending im Gegensatz zum Front-Bending. Übungen, die Kontorsionisten trainieren: Akrobaten, die mühelos ihre Gliedmaßen verbiegen können, um die unglaublichsten Positionen einzunehmen. Die dahinterliegende Wand wird von einem flirrenden Tapetenmuster überzogen, das dem Blick keinen Halt verspricht. Aus nächster Nähe entpuppt sich das Motiv des Tapetenmusters als fortlaufender Rapport derselben Figur.

Vervielfältigungen, Spiegelungen, Verdopplungen sind wiederkehrende Motive im Werk von Kassandra Becker. Die Künstlerin benutzt bereits vorhandenes Material mehrfach. Sie vervielfältigt Figuren, stellt sie zu Gruppen oder Paaren zusammen. Für die Tapeten ordnet sie Fotografien ihrer Figuren symmetrisch zu Ornamenten an. In ihrer neuen Werkgruppe greift die Künstlerin ebenfalls auf bestehendes, aber fremdes Bildmaterial zurück. Die Schlangen auf der schwarzen Tapete stammen aus einem Zoologiebuch. Entscheidend bei der Wahl für ein Bildmotiv ist, dass mit Einfachheit eine Flächendynamik erzeugt wird, die der Regungslosigkeit und momentanen Erstarrung der dreidimensionalen Figuren entgegenläuft. Die Feinarbeit besteht dann darin, beide Kräfte über ein räumliches Konzept in Balance zu bringen.

Kunsthalle Arbon 2007

Text von Jessica Beebone

Auszug aus der Eröffnungsrede zur Ausstellung “Augenblicke im Paradies” vom 10. Juni 2007 in der Kunsthalle Arbon (CH).

Nachdruck auch auszugsweise nur mit Genehmigung der Autorin.